Am 07.07.2022 veröffentlichte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Traumatherapeutin, Autorin und Gründerin der FreyMuT Academy Gunda Frey ihr zweites Buch ,,Das verstaatlichte Kind’’. Das Buch soll darauf aufmerksam machen, wie ,,unsere Gesellschaft ihre Kinder versaut’’, aber vor allem soll es zu einem längst überfälligen gesamtgesellschaftlichen Weckruf führen, für die Zukunft unserer Kinder und damit auch der zukünftigen Generationen. In diesem Buch geht es nicht nur um Systemkritik, es geht darum gemeinsam Lösungen zu finden, sie umzusetzen und dem Gefühl der Ohnmacht in dieser pädagogischen Klimakrise entgegenzuwirken.
In diesem Blogartikel geben wir dir einen Einblick in ,,Das verstaatlichte Kind’’ anhand 10 spannender Thesen aus dem Buch – mit jeweils einem Kommentar von der Autorin selbst, Gunda Frey.
Vielleicht fragt sich ja der ein oder andere ,,ist es denn so schlimm?’’ oder ,,gibt es denn nicht wichtigere Dinge zurzeit?’’ – Egal, ob du dich für die derzeitige und zukünftige Situation unserer Kinder interessierst oder nicht, dieses Buch kann dir eine Menge über deine eigenen Grundbedürfnisse als Mensch verraten und ist für jeden von Relevanz, der das ,,System des Funktionierens’’ in unserer Gesellschaft hinterfragt.
10 spannende Thesen aus ,,Das verstaatlichte Kind’’
,,Wir vergleichen gern unsere Kinder: ,,Mein Kind kann schon laufen, deins auch?’’ Wir setzen uns damit leider unter Stress. Andere Dinge sind uns jedoch peinlich zu fragen oder zu vergleichen. ,,Mein Kind hat Angst vor Monstern, deins auch?’’, habe ich selten in Gesprächen gehört.’’ (S.24)
Gunda: ,,Warum vergleichen wir unsere Kinder? Ich glaube, dass das zutiefst aus einer Unsicherheit heraus entsteht, weil wir uns abgleichen möchten und innerlich vergewissern möchten ,,ist mein Kind normal? Mache ich alles richtig?” Anstatt zu sagen ,,mein Kind kann aber schon … und deins nicht” wäre es doch viel schöner genau über die Unsicherheit ins Gespräch zu kommen und sich gegenseitig zu helfen und zu supporten und genau die Fragen zu stellen: ,,Hat dein Kind auch Angst vor Monstern?” , um dann festzustellen, dass es völlig normal ist, dass Kinder im Kindergartenalter Angst vor Monstern haben. Vielleicht hat dann die andere Mutter eine coole Idee, wie man damit umgehen kann. Es geht darum zu verstehen, dass Vergleichen meines Erachtens aus Unsicherheit entsteht und wir uns sicher fühlen, wenn wir was sehen, was unser Kind gut kann, aber wir können uns auch sicher fühlen im Austausch mit anderen.”
,,So viele langfristige Traumafolgestörungen könnten vermieden werden, wenn wir das Verhalten unserer Kinder verstehen. (…) Wir tun also gut daran, die psychischen Grundbedürfnisse unserer Kinder zu kennen und ,,abnormales’’ Verhalten als Ausdruck von erlebtem emotionalem Stress (Traumata) zu sehen und nicht nach der Maxime zu handeln, dass unsere Kinder funktionieren müssen um jeden Preis.’’ (S.30)
Gunda: ,,Ich glaube die wenigsten wissen über die Grundbedürfnisse, die psychischen vor allem. Die physischen sind uns alle klar und es geht genau darum unsere Kinder zu verstehen. Es geht weder darum, dass sie funktionieren, noch um dieses ,,super-bedürfnisorientierte”, wo meine eigenen Bedürfnisse als Elternteil zurückstehen. Es gibt ja auch die ,,Bubble” der bedürfnisorientierten Erziehung, wo es dann nur um die Bedürfnisse der Kinder geht, das ist von der anderen Seite zum vom Pferd fallen. Denn so wie wir die Kinder verstehen dürfen mit ihren Bedürfnissen, so dürfen wir auch uns selbst verstehen und sagen ,,Guck mal, wir haben auch Bedürfnisse als Eltern und die sind auch völlig in Ordnung!” Aber wir dürfen auch wegkommen vom Funktionieren, das heißt das, was wir für unsere Kinder sehen, sollten wir auch immer für uns selbst sehen und eine gute Mitte finden und das ist die eigentliche Schwierigkeit.”
,,Wenn die Norm beinhaltet, dass Vierjährige hoch motiviert über 30 Minuten still sitzen müssen, sollten wir die Norm überdenken, da sie nicht den entwicklungspsychologischen Fähigkeiten jedes Kindes in diesem Alter entsprechen.’’ (S. 31)
Gunda: ,,Vielleicht müssen wir auch mal darüber sprechen, wie Normen entstehen. Normen entstehen immer da, wo wir merken etwas ist nicht ganz so praktikabel. Das mit dem Stillsitzen und Morgenkreis im Kindergarten, ist mit Sicherheit entstanden, um Kindergarten-Abläufe zu optimieren und zu sehen, was bei den Kindern los ist, aber auch um Struktur in den Tag zu bringen. Aber es ist wenig daran orientiert zu schauen, was Kinder eigentlich brauchen. Da Normen immer da entstehen wo etwas passiert, was Handlung benötigt, sind wir an einer guten Stelle Normen zu entwickeln, weil wir am Verhalten unserer Kinder ganz deutlich sehen, dass es Handlung bedarf. Wünschenswert wäre es, dass wir von der Symptombekämpfung zur Ursachenforschung gehen. Das heißt, wenn so viele Kinder auffällig sind wir uns fragen sollten: Warum?”
,,Durch die Geburt kann die erste traumatische Erfahrung in dem zarten System des Säuglings gespeichert werden.“ (S.39)
,,Der Stress für Mutter und Kind beginnt zudem häufig schon vor der Geburt, denn Stressempfinden der Mutter wird auf den Fötus übertragen, (…)“ (S. 41)
Gunda: ,,Es ist inzwischen bewiesen, dass der Stress der Mutter auf das Kind übertragen wird, aber zum Glück nicht 1:1. Der Stress einer Mutter, der vom Arzt / der Ärztin ständig gesagt wird ,,Ihre Schwangerschaft ist eine Risiko-Schwangerschaft”, kann sich bereits beeinträchtigend auf das Kind auswirken. Viel größer ist aber der berufliche Stress. Als Beispiel hatte ich eine Mutter in meiner Praxis, die in ihrer Schwangerschaft gemobbt wurde und aufgrund dessen in ihrem Job unsicher war. Die Folgen beim Kind waren deutlich sichtbar. Auch ob ein Kind gewollt ist oder nicht hat einen Einfluss. Einer Freundin von mir wurde gesagt, dass sie eigentlich nicht schwanger werden kann – sie wurde allerdings trotzdem schwanger, was bei ihr großen Stress ausgelöst hat, da sie die Schwangerschaft nicht geplant hatte und es ihr Leben völlig durcheinander gebracht hat. Erst ab der zweiten Hälfte der Schwangerschaft konnte sie sich über ihr Kind richtig freuen. Ein Ungeborenes merkt auch schon, ob es gewollt ist von seinen beiden Elternteilen oder nicht und speichert es in seinem Grundsystem ab.”
,,Nach der Geburt zeigen von Geburtstraumata betroffene Kinder vermehrt Regulationsstörungen und eine verminderte Stressresilienz. Der Grundstein für eine ADHS-Diagnose wird gelegt.“ (S.44)
Gunda: ,,Kinder, die nach der Geburt kaum weggelegt werden können.. Die wollen die ganze Zeit getragen werden und weinen und weinen. Da ist es fatal zu sagen ,,die sollen sich beruhigen, die kriegen sich schon ein.” Wenn es sich um ein Geburtstrauma oder um vorher vorhandenen Stress handelt, dann sieht man das vor allem in ihrem Verhalten, sie können sich schließlich nicht anders äußern. Deswegen täten Schrei-Ambulanzen gut daran, Vorgeschichten, wie Geburtstraumata mit zu berücksichtigen. Eine Kollegin, Katrin Boger hat die IBT-Traumatherapie entwickelt, wo man schon mit Säuglingen Traumata aufarbeiten kann. Mehr zu Katrin und IBT findest du hier. Wenn ein Kind unendlich viel schreit und weint möchte es damit ausdrücken, dass es zurück in Geborgenheit und Sicherheit gebracht werden möchte. Deswegen ist es auch so wichtig Kinder ohne Wertung zu tragen.”
,,Eltern fordern ihr Recht auf den Kitaplätze ein und reagieren empört, wenn es heißt, eine Gruppe müsse geschlossen bleiben. Schließlich haben sie ja einen Rechtsanspruch. Es ist aber eigentlich genauso rechtlich festgelegt, dass eine Betreuungskraft für eine Gruppe nicht ausreichend und damit nicht zulässig ist. Gleichzeitig fehlen Erzieher und Pädagogen in erschreckender Zahl, (…)’’ (S. 52/53)
Gunda: ,,Ich erlebe das immer wieder, dass Eltern sagen ,,Aber die Kita muss doch..” und die Kitas sagen ,,Die Eltern sollten doch und sehen nicht..”. Für mich geht es nur gemeinsam und wenn wir den Blick auf das Gegenüber wenden. Natürlich hat eine Mutter Not, wenn sie ihr Kind unterbringen muss, berufstätig ist und Ärger vom Chef kriegt. Auf der anderen Seite hat eine Erzieherin Not, wenn ihre Kollegin ausgefallen ist und sie alleine eine Gruppe betreuen muss, was sie rechtlich gar nicht darf. Das heißt, wir brauchen konstruktive Lösungen, wie mit solchen Fällen umgegangen werden kann, mehr Verständnis von Arbeitgeber*innen und mehr Verständnis untereinander für eine bessere Kommunikation untereinander!”
,,Fast jeder hat sich schon mal dabei erwischt, wie er seinen eigenen Kindern genau die Sätze sagte, die man als Kind selber gehasst hat oder zumindest als nicht gerechtfertigt oder verletzend erlebt hat. (…) In solchen (Stresssituationen) greift unser System auf das etablierte Betriebssystem zurück.“ (S.59)
Gunda: ,,Persönlichkeitsentwicklung ist in aller Munde, um reich, schön berühmt und sonst was zu werden. Für mich ist es essentiell, wenn ich mit Kindern lebe und Kinder habe, weil wir automatisch aus unseren alten Mustern heraus handeln. Das hört nur auf, wenn wir aus diesen Mustern ausbrechen und sie uns genau angucken. Das heißt, wir sind gefordert in uns selbst zu investieren, denn diese Sätze sitzen so tief, dass es nicht reicht einfach zu sagen ,,Das möchte ich nicht, ich mach das einfach anders”. Denn sobald unser System in Stress kommt reagiert es mit dem, was alt und bekannt ist (aus unserer Kindheit). Wer mehr darüber wissen möchte, wie unser Betriebssystem funktioniert kann sich gerne das kostenlose eBook dazu herunterladen (Startseite).”
,,Unser Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit ist genauso dominant wie unser Bedürfnis nach Nahrung. (…) Es ist daher von größter Wichtigkeit, dass Lehrer nicht nur Wissensvermittler sind, sondern ein Beziehungsangebot kreieren, auf dessen Grundlage Lernen möglich ist.“ (S.76)
Gunda: ,,Bindung geht vor Bildung. Ein Kind, welches Zuhause gerade vielleicht viel Stress mit den Eltern und oder Geschwistern hat, von Klassenkameraden ausgegrenzt wird und auch kein Beziehungsangebot vom Lehrer kriegt, ist auf jeden Fall nicht aufnahmefähig für Unterrichtsstoff. Es ist so, als ob dann ein Notstromaggregat angeht und das ganze System nur Beziehung sucht. Beziehung und Bindung ist gleichwertig mit dem Bedürfnis nach Nahrung, es ist essentiell. Unser Kurs ,,Trauma und Lernen” geht näher auf diese Thematik und die Zusammenhänge ein. Was braucht es für Rahmenbedingungen für Lernen? Für uns ist es auf jeden Fall wichtig zu wissen, dass Bindung eins der wichtigsten Grundbedürfnisse ist und wir in allem was wir tun mehr darauf achten sollten Beziehungsangebote zu gestalten. Beziehung ist sehr leicht dargestellt, nämlich da wo wir authentisch, Blickkontakt aufnehmen, ein Lächeln schenken, ein Kompliment beginnen. Es braucht gar nicht so viel, aber eben ein bisschen.”
,,Wenn die Verstaatlichung unserer Kinder vielleicht nicht zielorientiert gewollt ist, so wird sie zumindest billigend in Kauf genommen – eben weil die Sicht auf das große Ganze fehlt und jeder in seinem ,,Gewerk” für sich das Beste herausholen will. Und weil wir momentan Werten wie Effizienz folgen.” (S.114)
Gunda: ,,Es heißt immer so schön: ,,Unwissenheit schützt nicht vor Strafe”. Wenn die Verstaatlichung nicht gewollt ist, dann sind wir trotzdem in der Pflicht uns anzugucken, wie in allem was wir tun: Was passiert? Was sind die kurzfristigen und was die langfristigen Folgen? Die Strafe ist einfach die Folge. Das, was am meisten fehlt in Deutschland, ist der Blick aufs große Ganze, da geht es um Werte, da geht es darum wer sind wir als Menschen, wie werden wir gesehen? Als einzelne Individuen? Oder als Objekte, Leistungs-Erfüller, Bruttosozialprodukts-Maschinen, funktionierende Wesen oder worum geht es hier eigentlich? Wo wollen wir als Gesellschaft hin und wer sind wir eigentlich? Und wenn wir uns diese Frage ehrlich beantworten, dann wird sich automatisch auch die Frage beantworten was machen wir mit unseren Kindern und wie gehen wir mit ihnen um und ist es wirklich die Familie in die wir investieren, wenn wir mehr Fremdbetreuung schaffen oder in was investieren wir eigentlich?”
,,Im ersten Moment scheint vieles, was wir vor allem für unsere Kinder tun, der Liebe zu entspringen. Wenn wir ganz genau hinschauen, ist es jedoch Angst. Angst, dass unsere Kinder beeinträchtigt oder benachteiligt werden, dass sie einen schlechten oder gar keinen Schulabschluss schaffen, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden.’’ (S. 193)
Gunda: Liebe oder Angst, das ist immer die Frage.. wenn wir Entscheidungen treffen für unsere Kinder meinen wir immer wir tun es aus Liebe. Wir möchten aus Liebe, dass unser Kind nicht sitzen bleibt, weil es müsste dann ja neue Kontakte knüpfen und neue Freunde finden, wir möchten es vor etwas bewahren. Wenn wir es ,,vor etwas bewahren” wollen, ist damit bereits klar, dass dahinter Angst steckt. Und wenn wir ganz genau hingucken, ist es meistens unsere eigene Angst. Weil wir dann die Angst haben, wenn das Kind die Klasse gewechselt wird und es keinen Anschluss findet, lernt es nicht mehr, dann kriegt es keinen Abschluss, keine Ausbildung, keinen Job, Hartz 4, landet unter der Brücke – Diese Gedanken entstehen allein aus unseren eigenen Mustern und Prägungen heraus. Wenn wir Wachstum wirklich angucken, dann wissen wir, dass Wachstum immer außerhalb der Komfortzone passiert, wir lernen laufen indem wir hinfallen und wenn wir unsere Kinder vor allem bewahren, dann lernen sie ganz viele Dinge nicht. Unser Bewahren hat mehr mit unserer Angst zu tun, als mit Liebe. Angst wurde in letzter Zeit ganz ganz viel geschürt in unserem System und deswegen dürfen wir uns bewusst wieder der Liebe zuwenden und hinterfragen, wo agieren wir aus Liebe und wo aus Angst?
Hast du selbst Erfahrungen mit der Verstaatlichung unserer / deiner Kinder gemacht? Teile hier gerne deinen Erfahrungsbericht.
Bist du bereit für Veränderung?
Hier kommst zum Buch ,,Das verstaatlichte Kind”
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