Warum jeder Therapeutin eine fundierte Traumazusatzausbildung braucht
Wenn das Herz „Ja“ sagt
Ich bin ursprünglich Sozialpädagogin. Ich wollte Kinder und Jugendliche verstehen – wirklich verstehen.
Nicht nur ihr Verhalten, sondern das, was dahinter steckt: ihre Reaktionen, ihre Wut, ihr Rückzug, ihr Schweigen.
Doch in der Praxis merkte ich schnell, dass das Wissen, das ich hatte, oft nicht ausreichte.
Ich sah Kinder, die durch nichts zu erreichen waren, Jugendliche, die scheinbar ohne Grund explodierten – und ich spürte, dass da etwas Tieferes wirkte, das ich nicht greifen konnte.
Also begann ich die Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.
Ich wollte mehr Werkzeuge, mehr Tiefe, mehr Verstehen.
Und dann kam das Modul „Trauma“.
Schon am ersten Tag saß ich da und wusste: Hier hat mein Suchen ein Ende.
Endlich verstand ich, warum so viele klassische Interventionen ins Leere liefen.
Warum manche Kinder gar nicht „therapierbar“ wirkten, obwohl sie in Wahrheit einfach nur nicht sicher waren.
Trauma erklärte so vieles, was mir bisher unlogisch erschienen war – in Verhalten, Bindung, Körperreaktionen.
Ich spürte: Das ist es. Das ist das Wissen, das fehlt.
Am zweiten Tag aber, als es um Methoden ging – Wie arbeitet man mit traumatisierten Menschen? – wurde plötzlich gewarnt:
„Das ist gefährlich. Man kann retraumatisieren. Damit muss man sehr vorsichtig sein.“
Ich spürte, wie die Angst im Raum wuchs – leise, aber spürbar.
Ich sagte nichts. Aber noch am selben Abend fasste ich meine Entscheidung:
Ich würde sofort mit einer Traumatherapie-Ausbildung beginnen, obwohl meine Psychotherapeutenausbildung noch gar nicht abgeschlossen war.
Später, in Intervisionen, erzählte ich begeistert von meiner Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen – mit Leichtigkeit, Neugier, Freude.
Und oft erntete ich irritierte Blicke:
„Gunda, Trauma und Leichtigkeit? Das geht doch gar nicht!“
Doch ich machte weiter. Und irgendwann hörte ich:
„Was du da machst, das wollen wir auch können.“
So entstand meine erste Traumatherapie-Ausbildung – aus dem Bedürfnis heraus, Trauma nicht länger als Gefahr zu behandeln, sondern als das, was es ist: eine Einladung zur tiefen Heilung.
Der blinde Fleck in der Ausbildung
Die meisten psychotherapeutischen und ärztlichen Ausbildungen sind solide in Diagnostik, Methodik und Störungslehre – aber sie bleiben zu oft an der Oberfläche, wenn es um Traumawissen geht.
Das führt zu einer stillen Diskrepanz:
Wir wissen vieles über Symptome, aber zu wenig darüber, woher sie kommen.
Viele Therapeut*innen spüren das.
Sie merken, dass etwas fehlt.
Dass klassische Verfahren manchmal nicht greifen.
Und dann kommt die Unsicherheit.
Der Schmerz hinter der Professionalität
Über diesen Schmerz wird selten gesprochen – vielleicht, weil er zu nah ist.
Viele Therapeut*innen haben Angst vor Trauma.
Nicht, weil sie nicht helfen wollen, sondern weil sie tief spüren:
Da kann etwas passieren, das größer ist als ich. Etwas, das ich vielleicht nicht halten kann.
Sie haben gelernt, professionell zu sein, souverän, kontrolliert.
Und plötzlich sitzen sie einem Menschen gegenüber, dessen Nervensystem sich nicht an Lehrbuchgrenzen hält.
Ein Klient dissoziiert, ein Kind reagiert mit Erstarrung oder Wut, eine Jugendliche bricht mitten im Gespräch zusammen – und in uns entsteht ein leiser Gedanke:
Was, wenn ich das nicht auffangen kann?
Diese Angst ist menschlich.
Doch sie bleibt meist unausgesprochen – weil wir Therapeut*innen „es ja können“ müssen.
Nach außen stabil, nach innen oft erschöpft, überfordert oder zweifelnd.
In dieser Diskrepanz entsteht der Satz, den viele kennen, aber kaum einer laut ausspricht:
„Das ist mir zu schwer.“
Und dann wird weiterverwiesen – mit besten Absichten, aber oft auch aus Selbstschutz.
Doch genau hier liegt der Kern:
Traumakompetenz bedeutet nicht, alles halten zu müssen.
Sie bedeutet, zu wissen, wie man sicher bleibt.
Wie man Co-Regulation ermöglicht.
Wie man Grenzen setzt, ohne Rückzug.
Wie man einem Menschen in Schmerz begegnet, ohne mitzuleiden.
Traumakompetenz schützt also nicht nur Klient*innen, sondern auch uns selbst.
Die Mythen, die uns klein halten
In der Fachliteratur sind diese Ängste längst beschrieben.
Tim Kaiser, Philipp Herzog und Ad de Jongh (2023) schreiben in ihrem Artikel „Wie Mythen der traumafokussierten Psychotherapie eine adäquate Versorgung erschweren“:
„Trotz der immer stärker werdenden Evidenzlage insbesondere für die Prolongierte Expositionstherapie, kognitive Verarbeitungstherapie und EMDR werden diese zu selten eingesetzt.“
Warum?
Weil Angst und Mythen dominieren:
- Mythos 1: „Traumafokussierte Verfahren sind zu gefährlich.“
→ Tatsächlich zeigen Studien, dass korrekt durchgeführte Verfahren sicher und hochwirksam sind. - Mythos 2: „Zuerst muss man ewig stabilisieren.“
→ Herzog et al. betonen, dass übermäßige Stabilisierung Heilungsprozesse unnötig verzögert. - Mythos 3: „Komplexe Traumata sind nicht behandelbar.“
→ Auch das widerlegt die Forschung: Es braucht Anpassung, nicht Vermeidung.
„Wahrgenommene Hindernisse wie die Angst vor Verschlimmerung oder vor Abbruch stehen in einem negativen Zusammenhang mit der wahrgenommenen Eignung der Behandlung.“
(Herzog, Kaiser & de Jongh, 2023)
Diese Mythen sind keine Fakten – sie sind Schutzmechanismen.
Sie entstehen dort, wo Fachkräfte Angst haben, Fehler zu machen.
Doch sie führen dazu, dass traumatisierte Patienten zu lange warten müssen, bis sie Hilfe bekommen, die wirklich wirkt.
Auch das Psychotherapeuten Journal (1/2025) greift dieses Spannungsfeld auf in „Von hartnäckigen Fiktionen und unbequemen Wahrheiten“:
„Weit verbreitete Irrtümer über die Dissoziative Identitätsstörung werden kritisch hinterfragt – sie sind Ausdruck kollektiver Unsicherheit im Umgang mit traumatischen Erfahrungen.“
Das zeigt: Selbst auf Fachebene wird zunehmend sichtbar, dass Unsicherheit der eigentliche Feind wirksamer Traumatherapie ist – nicht das Trauma selbst.
Was Traumakompetenz wirklich verändert
Traumakompetenz verändert nicht nur Methode – sie verändert, wer wir als Therapeut*innen sind.
Sie bedeutet, Symptome als Sprache des Nervensystems zu verstehen.
Sie lehrt, in Resonanz zu gehen, ohne mitzuleiden.
Sie erschafft Räume, in denen Menschen sich sicher fühlen dürfen, auch wenn sie nie gelernt haben, was Sicherheit ist.
Und sie nimmt Therapeut*innen den Druck, alles aushalten zu müssen.
Stattdessen dürfen wir mit dem Klienten regulieren, nicht für ihn.
Wir dürfen menschlich sein – und genau darin liegt unsere Wirksamkeit.
FreyMuT Academy & aktuelle Ausrichtung
Die FreyMuT Academy hat sich zum Ziel gemacht, Traumatherapieausbildung auf höchstem Standard anzubieten – zertifiziert nach DeGPT.
Ehemals leitete ich (Gunda) selbst durch die Module; inzwischen ist der Kurs in kompetente Hände übergegangen.
Heute wird er geleitet von der erfahrenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Christina Kurzweil, die zugleich Lehrdozentin in verschiedenen Ausbildungsinstituten ist, DBT-Therapeutin und ausgewiesene Traumatherapeutin – deren fachliche Expertise meine eigene weit übersteigt.
So bleibt sichergestellt: Der Kurs ist nicht einfach mein persönliches Projekt, sondern eine strukturierte, professionelle Weiterbildung unter Leitung einer herausragenden Fachperson.
Damit die Teilnehmenden nicht nur von meiner Vision, sondern von bestmöglichem fachlichem Niveau profitieren.
Das Curriculum folgt dem DeGPT-Standard: z. B. die „Spezielle Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen“, wie sie von der DeGPT beschrieben wird.
In Zusammenarbeit mit ausgebildeten Dozentinnen, zertifizierten Supervisorinnen und praktischen Fallübungen wird eine solide Qualifizierung gewährleistet.
Meine Reise – und warum sie heute aktueller ist denn je
Als ich meine Traumazusatzausbildung begann, war das kein strategischer Karriereschritt.
Es war eine Antwort auf ein inneres Drängen: Ich will verstehen, warum Menschen so reagieren, wie sie reagieren.
Ich wollte Wege finden, wie Kinder, die niemandem mehr vertrauen, langsam wieder Verbindung spüren können.
Wie Jugendliche, die schweigen, anfangen zu erzählen – nicht nur mit Worten, sondern mit Gesten, Bewegungen, kleinen Schritten.
Und ich wollte lernen, wie ich als Therapeutin in all dem sicher bleiben kann.
Heute sehe ich Kolleg*innen, die genau da stehen, wo ich damals stand: zwischen Faszination und Angst.
Zwischen dem Wunsch zu helfen und der Sorge, es nicht zu schaffen.
Und ich möchte sagen: Es ist möglich.
Traumakompetenz ist kein Hexenwerk – sie ist lernbar.
Sie ist die Brücke zwischen Empathie und Wirksamkeit.
Ein neuer Standard – und eine Einladung
Traumakompetenz ist kein Zusatzwissen, kein Luxus für Spezialisten.
Sie ist der fachliche Standard, der verhindert, dass wir Symptome behandeln, wo eigentlich Verletzungen geheilt werden müssen.
Und sie schützt uns als Therapeut*innen davor, in der Arbeit mit Trauma selbst unterzugehen.
Wenn wir uns trauen, unsere Unsicherheiten anzuschauen, sie zu benennen und Wissen an ihre Stelle zu setzen, dann entsteht etwas Neues:
Therapie wird wieder Begegnung.
Fachlichkeit wird wieder Haltung.
Heilung wird wieder möglich – für alle Beteiligten.
Fazit
Traumakompetenz ist nicht das Ende der Professionalität.
Sie ist ihr Anfang.
Literaturverzeichnis (Auswahl)
- Herzog, P., Kaiser, T., & de Jongh, A. (2023). Wie Mythen der traumafokussierten Psychotherapie eine adäquate Versorgung erschweren – Ein Plädoyer zur Implementierung evidenzbasierter Verfahren in Deutschland.ResearchGate. https://www.researchgate.net/publication/369280759
- Herzog, P., Kaiser, T., & Huntjens, R. (2025). Von hartnäckigen Fiktionen und unbequemen Wahrheiten über die Dissoziative Identitätsstörung. Psychotherapeuten Journal, 1/2025. https://www.psychotherapeutenjournal.de/2025/1/ptj202501.005
- Neuner, F. (2008). Stabilisierung vor Konfrontation – Grundregel oder Mythos? Verhaltenstherapie & Verhaltenstherapie in Praxis und Forschung, 38(2), 100–110.
- Van der Kolk, B. A. (2015). Verkörperter Schrecken – Wie Traumata in Körper und Gehirn ihre Spuren hinterlassen und wie man sie heilen kann. München: Klett-Cotta.
- Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT). Spezielle Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT). Abrufbar unter degpt.de (Curriculum, Richtlinien, Anforderungen).




