Im Oktober gab´s als Appetizer den ersten Workshop – im neuen Jahr eröffnet die FreyMut Academy einen neuen Standort in Leer/ Ostrfiesland. Ein guter Grund genug Gunda zu fragen: Warum?
Gunda, was ist der Grund für den Standort in Leer?
Auslöser war die Anfrage der Traumahilfe Ostfriesland. Ich habe schon lange darüber nachgedacht, wo ein weiterer Standort sinnvoll wäre. Um Traumawissen deutschlandweit zu verbreiten, macht fast jeder Standort Sinn, besonders außerhalb der Ballungszentren, in denen es oft schon viele und gute Angebote gibt. In Leer haben wir hervorragende Räumlichkeiten und tolle Kooperationspartner gefunden – und jeder, der mich kennt, weiß, dass ich die Nähe zum Meer schätze. Es fühlt sich einfach richtig an, hier den nächsten FreyMuT-Standort zu eröffnen.
Welche Aus- und Weiterbildungen bietest du in Leer an?
Wir starten mit der Ausbildung in Traumapädagogik und traumazentrierter Fachberatung. Sie kombiniert theoretisches Wissen und praktische Übungen, sodass die Teilnehmenden lernen, traumatische Muster zu erkennen und sicher zu handeln, ob sie stabilisieren können oder therapeutische Hilfe erforderlich ist. Oder wie wir es sagen: Trauma verstehen, Menschen begleiten – wie aus MuTigen Kindern freye Erwachsene werden
Kannst du kurz die Inhalte der Fortbildung erläutern?
Natürlich! Die Fortbildung Traumapädagogik bei der FreyMuT Academy deckt 11 Module ab, die von theoretischen Grundlagen bis hin zu praktischen Übungen reichen. Die Ausbildung läuft über 11 Monate und ist so aufgebaut, dass sich Beruf und Fortbildung gut kombinieren lassen – jedes Modul findet an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gegen Ende der Woche statt. Je nach Interesse gibt es spezifische Vertiefungen, die gezielt auf die Arbeit mit Kindern oder Erwachsenen vorbereiten. Besonders stolz bin ich auf die DeGPT- und DVIT-Zertifizierungen, die für hohe fachliche Standards und eine offiziell anerkannte Qualifikation stehen.
Wer ist die Zielgruppe dieser Fortbildung?
Ich bin Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin – das Wohl der Kinder und damit auch der pädagogischen Fachkräfte, die sie betreuen, liegt mir am Herzen. Ich weiß aus Erfahrung, dass Menschen, die in Schulen, Kindertagesstätten oder Einrichtungen arbeiten, oft mit belastenden Situationen konfrontiert sind. Auch Therapeuten, Sozialarbeiter, Eltern und sogar Freunde, die unterstützen, wenn es zu „Störungen“ kommt, profitieren von einem umfassenden Traumawissen. Jede Fachkraft kann durch diese Ausbildung ein tiefgreifenderes Verständnis entwickeln.
Gab es bei dir so einen „Trigger-Momet“, dass du ein Trauma-Fan geworden bist?
Definitiv! Seitdem ich 17 bin, arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen, lange Zeit ehrenamtlich. Ein Lehramtsstudium habe ich abgebrochen. Es ging mir damals zu wenig um die Kids. Doch es kam die Zeit, dass Empathie und Verstehen nicht mehr ausreichen. Die Welt der Jugendlichen schien komplexer zu werden. Also studierte ich spät Sozialpädagogik, da ich den Kids unbedingt in der Tiefe helfen wollte.
Frisch diplomiert arbeitete ich in einer Jugendwohngruppe. Es kam wie es kommen musste: Ich war alleine im Dienst und total überfordert. Der Jugendliche wollte nicht auf mich hören. Es eskalierte. Am Ende gab es einen abgängigen Jugendlichen, eine zerbrochene Tür und eine heulende Sozialpädagogin – mich.
Da wusste ich, dass weder Empathie noch ein Studium in Sozialpädagogik als Handwerkszeug in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausreichend ist.
Ich setzt die Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin drauf, mit einem Wunsch: Kindern und Jugendlichen der Wegbegleiter sein zu können, der sie wirklich weiterbringt. Ich lernte viel über Störungsbilder und verstand vieles neu. Doch dann kam das eine Seminar, welches wirklich alles änderte.
Lass` mich raten – Es war das Seminar über Trauma?
Genau! Mir wurde das beigebracht, was du über Trauma wahrscheinlich auch weißt:
1. Trauma ist nicht heilbar.
2. Es ist gefährlich mit Traumatisierten zu sprechen, da man sie retraumatisieren könnte.
3. Traumatisierte benötigen ganz viel Stabilisation.
Es sollte mir einen gehörigen Respekt vor der Arbeit mit traumatisierten Menschen einflößen. Bei mir hat es jedoch genau das Gegenteil bewirkt und einen wahren Change in meinem Leben und meiner Arbeit herbeigeführt.
Meine Ausbildung zur Traumatherapeutin war, als würde mir jemand den Schleier von den Augen nehmen oder einen Vorhang eines lang gehüteten Geheimnisses lüften. Auf einmal guckte ich auf den klaren Sternenhimmel und sah die Milchstraße. Also nicht wirklich – aber so ein Gefühl war es damals und ist es noch heute.
Du sagst, du magst den Begriff „Störung“ nicht – warum ist das so?
Ich bin der Überzeugung, dass Kinder sogenannte „Störungen“ entwickeln, weil wir sie in ihrer Entwicklung stören. Das ist ein Gedanke, den viele schon von mir gehört haben, und ich wiederhole ihn gerne: An der FreyMuT Academy leben wir die Haltung des „guten Grundes“ – dass jedes Verhalten, so herausfordernd es auch sein mag, seine Berechtigung und eine tieferliegende Ursache hat. Wir arbeiten also nicht mit Labels, sondern betrachten das Verhalten der Kinder als Wegweiser, um besser zu verstehen, wie wir sie unterstützen können. Das setzt sich im Jugend- und Erwachsenenalter fort. Jeder Mensch ist aus gutem Grund “anders“ – und wir wissen damit kompetent und sicher umzugehen!
Das heißt, es geht in der Ausbildung vor allem um Kinder und deren Entwicklung?
Ja, auch – aber bei Weitem nicht nur! Die aktuelle Kursgruppe, die in Viersen begonnen hat, ist zum Beispiel unglaublich vielfältig und bunt. Wir haben Teilnehmer mit unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen.
- Da ist zum Beispiel ein Feuerwehrmann, der Traumawissen benötigt, weil er regelmäßig Menschen in Extremsituationen begegnet.
- Eine Intensivkrankenschwester, die mit belastenden, aber auch unglaublich bereichernden Situationen umgehen muss.
- Eine Führungskraft, die sich neuen, anspruchsvollen Führungsaufgaben gegenüber sieht und wissen möchte, wie sie ihre Mitarbeiter in Krisenzeiten stärken kann.
- Ein Coach, der sich sicherer fühlen möchte, wenn sensible Themen bei Klienten aufkommen.
- Eine Ärztin, die ihre wenige Zeit mit Patienten intensiver nutzen möchte.
- Einen Vertriebsmitarbeiter, der nach authentischen Wegen sucht, um potenzielle Kunden zu verstehen und anzusprechen.
So unterschiedlich die Berufe auch sind – das Traumawissen bringt sie alle weiter. Es ist die Berufung zusätzlich zum Beruf.
Was ist dein Ziel für den Standort Leer?
Mein Ziel ist, Menschen zu befähigen, gesund und nachhaltig zu wachsen. Ich setze dabei auf kleine Gruppen und individuelle Betreuung, sodass persönliche Beziehungen entstehen und Menschen den Mut finden, sich in dieser sich ständig wandelnden Welt zu behaupten. Leer ist ein Standort, von dem aus ich Funken sprühen lassen kann. Ich habe kein festes Ziel, sondern eine Vision: Anfangen, machen und das, ohne das Endergebnis schon festzulegen. So bleibt man offen und flexibel, und das ist meiner Meinung nach der Schlüssel für echtes Wachstum.
Wann geht es offiziell los?
Der Startschuss für die Traumapädagogik-Ausbildung fällt im Frühjahr 2025. Die Fortbildung erstreckt sich über 11 Monate und beinhaltet 11 spannende Module, die Theorie und Praxis eng miteinander verbinden. Für pädagogische Fachkräfte gibt es die Möglichkeit, durch die DeGPT und den DVIT zertifiziert zu werden – eine offizielle Anerkennung, die zusätzliche berufliche Möglichkeiten eröffnet.
Worauf freust du dich am meisten?
Auf den ersten Tag, wenn alle Teilnehmer ihre „Traumabrille“ basteln, aufsetzen und beginnen, ihre Perspektive zu wechseln. Das ist jedes Mal ein Highlight, weil jeder Teilnehmer seine ganz eigene Geschichte und seinen eigenen Grund mitbringt, warum er oder sie hier ist.
Darauf freue ich mich besonders!