Blog

Die Macht der Geschichten: Storytelling in der Traumapädagogik

Erfahrungen & Bewertungen zu FreyMuT Academy GmbH

Du hast es sicherlich schon erlebt: Dein Kind kommt aus der Schule, und du fragst, wie sein Tag war. Es antwortet kurz und knapp: “Gut.” Später am Abend versuchst du es erneut: „Wie war dein Tag?“ Die Antwort bleibt ähnlich wortkarg: “Okay.” 

Das sind wahrlich keine Geschichten, die uns Einblick in das Innenleben unserer Kinder geben. Aber wie bringt man ein Kind dazu, wirklich zu erzählen? Die bloße Aufforderung “Red´ doch mal was mehr” wird kaum Erfolg haben. Umgekehrt wachsen die meisten Kinder mit Geschichten auf und lieben es ihnen zuzuhören, darin zu versinken, in andere Welten abzutauchen. Wie wäre es also, wenn wir unseren Kindern die Kraft von Geschichten noch einmal neu näherbringen? Wenn wir sie davon überzeugen können, dass sie selbst Heldinnen und Helden einer ganz eigenen Story sind, die es wert ist erzählt zu werden?

Indem wir selbst erzählen, vorlesen und reden, können wir Bilder in ihren Köpfen erzeugen – schöne, lebendige Bilder, die sich einprägen und die Tür zu tieferen Gesprächen öffnen. Geschichten sind die Basis von Verstehen und Vertrauen.

 

Ein mutiger Schritt: Erzählungen als Brücke in schwierigen Momenten

Ich erinnere mich an eine Situation, als mein Sohn eines Tages völlig aufgelöst aus der Schule kam. Er wollte nicht darüber reden, was passiert war. Alle Versuche, ihn zum Reden zu bringen, scheiterten. Erst als ich anfing, ihm eine eigene Geschichte zu erzählen – über einen kleinen Jungen, der in der Schule einen harten Tag hatte, aber am Ende herausfand, dass es okay ist, Schwäche zu zeigen – begann er, seine eigene Geschichte zu teilen. Plötzlich brachen alle Dämme, und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Er konnte sich mit dem fiktiven Jungen identifizieren, der eigentlich er selbst war, und fand so einen Weg, über seine Gefühle zu sprechen.

 

Die Macht der Erzählung: Warum Geschichten wirken

Wenn wir Geschichten hören oder erzählen, geschieht etwas Faszinierendes in unserem Gehirn. Zahlreiche Teile des Gehirns werden aktiv – weit mehr als beim Lesen einer einfachen Liste mit Fakten. Das hat einen tiefgreifenden Effekt: Geschichten bleiben besser im Gedächtnis als reine Informationen. Studien zeigen, dass wir uns an Geschichten rund zwanzig Mal besser erinnern können als an isolierte Fakten. Dies liegt daran, dass Geschichten Emotionen wecken, Bilder erzeugen und uns mit den Charakteren und Ereignissen verbinden. Unser Gehirn ist darauf programmiert, Geschichten zu verarbeiten und zu speichern, weil sie uns helfen, die Welt zu verstehen und uns in ihr zurechtzufinden.

 

Die Chemie hinter der Story

Eine gute Geschichte setzt in unserem Gehirn eine Vielzahl chemischer Botenstoffe frei. Dopamin ist einer davon und verantwortlich für positive Empfindungen wie Freude, aber auch für Trauer. Wenn die Figuren in einer Geschichte unter emotionaler Belastung stehen, reagieren wir mit erhöhtem Puls, Schweißbildung und voller Konzentration – als wären wir selbst Teil der Handlung. Das Stresshormon Cortisol macht uns aufmerksamer und lässt uns schneller reagieren. Gleichzeitig hemmen Endorphine Schmerzempfindungen und sorgen dafür, dass wir das Geschehen mit Begeisterung verfolgen.

Auch Oxytocin, das Bindungshormon, wird freigesetzt und verstärkt unser Gefühl von Vertrauen und Mitgefühl gegenüber den Charakteren. Diese Hormone – Dopamin, Cortisol, Endorphine und Oxytocin – sorgen dafür, dass uns eine packende Geschichte emotional mitreißt. Wenn der Protagonist am Ende triumphiert, erleben wir Erleichterung und Freude, als hätten wir selbst das Abenteuer durchlebt.

 

Das Unbequeme an Geschichten: Nicht alle enden gut

Aber nicht alle Geschichten haben ein Happy End, und das ist in der Traumapädagogik besonders wichtig. Manchmal geht es nicht darum, das Trauma sofort aufzulösen oder eine positive Wendung zu finden. Es geht darum, die Geschichte so zu erzählen, wie sie ist – mit all ihrem Schmerz, ihrer Verwirrung und ihren ungelösten Fragen. Nur so können wir wirklich heilen. 

Eine Kollegin erzählte mir von einer jungen Frau, die in ihrer Therapie das erste Mal ihre Lebensgeschichte erzählte, ohne sie „schönzureden“. Am Ende sagte sie: „Ich bin nicht stolz auf das, was passiert ist, aber ich bin stolz darauf, es endlich erzählen zu können.“ Das war ihr erster Schritt in Richtung Heilung.

 

Geschichten in der Traumapädagogik: Heilen durch zuhören und Raum geben

Was bedeutet diese Erkenntnisse jetzt für die Traumapädagogik? Das Erzählen von Geschichten spielt in der Arbeit mit traumatisierten Menschen eine zentrale Rolle. In der Traumapädagogik helfen Geschichten nicht nur dabei, Erlebnisse zu verarbeiten, sondern auch, einen sicheren Raum für den Ausdruck von Emotionen zu schaffen. 

Doch Traumapädagogik bedeutet nicht nur, dass es um das eine große Trauma geht, das ans Licht gebracht werden muss. Traumapädagogisches Wissen kann in fast allen Beziehungssituationen hilfreich sein. Geschichten begleiten uns in allen Lebenslagen, und sie können helfen, auch kleine, alltägliche Belastungen zu verarbeiten und zu bewältigen. Indem wir Geschichten teilen, bauen wir Brücken und schaffen Verbindungen – zu anderen und zu uns selbst.

 

Fortbildung und Fachberatung: Geschichten erzählen – eine Herausforderung

Diese Methoden der Narration, der Kommunikation und des aktiven Zuhörens sind zentrale Elemente der Fortbildung in der Traumapädagogik und wirken ebenso im Erwachsenenbereich, wenn es um traumazentrierte Fachberatung geht. 

Sie sind längst nicht nur im privaten Umfeld von unschätzbarem Wert, sondern auch in der beruflichen Praxis spielen sie eine zentrale Rolle. Ob in der Sozialarbeit, Psychotherapie, im Coaching oder in der Beratung – das Erzählen und Verstehen von Geschichten ist ein mächtiges Werkzeug, um Menschen zu erreichen, Vertrauen aufzubauen und Veränderungsprozesse anzustoßen. Besonders in der traumazentrierten Fachberatung bietet die Arbeit „im Story Modus“, also der offene Austausch über Erlebtes, das gemeinsam Erinnern die Möglichkeit, tiefer liegende Probleme zu erkennen und auf behutsame Weise anzugehen. Es mag auf den ersten Blick einfach erscheinen, Geschichten in diesen Kontexten zu nutzen, doch die Herausforderung – und damit unser unbedingter Wunsch nach Professionalisierung – liegt in der richtigen Anwendung. Die Kunst besteht darin, Geschichten so zu lenken, dass sie Heilung und Entwicklung fördern – und das erfordert sowohl fachliche Expertise als auch ein tiefes Verständnis für die individuellen Bedürfnisse der Klienten.

In vielen Berufen ist das Wissen um die Macht der Erzählung daher nicht nur ein „nice to have“, sondern eine essentielle Kompetenz, die über den Erfolg der gesamten Beratung entscheidet. Denn Geschichten, die einmal ins Rollen kommen, haben das Potenzial, tiefgreifende Veränderungen zu bewirken – und dies verantwortungsvoll zu begleiten, ist eine der größten Herausforderungen und zugleich eine der lohnendsten Aufgaben im professionellen Kontext.

Das ist die Kunst der Traumapädagogik: den Fluss der Geschichten in positive Energie umzuwandeln und dabei das Wohl des Einzelnen stets im Blick zu behalten. 

 

Gute Stores brauchen sichere Orte

Gute Geschichten brauchen die Pädagogik des sicheren Ortes, weil sie den Zuhörern oder Lesern ermöglichen, sich emotional auf die Handlung einzulassen, ohne überwältigt zu werden. Der sichere Ort bietet eine psychologische Grundlage, die es ermöglicht, sich mit schwierigen oder intensiven Themen auseinanderzusetzen, während gleichzeitig ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit vermittelt wird.

In einer Geschichte, die emotional herausfordernd ist – sei es durch Konflikte, Verlust oder Unsicherheit – sorgt die Vorstellung eines sicheren Ortes dafür, dass das Publikum tief involviert bleibt, ohne Angst oder Stress so stark zu erleben, dass es sich zurückzieht. Das Konzept des sicheren Ortes erlaubt es den Zuhörern, in die Gefühlswelt der Charaktere einzutauchen, ohne das Risiko, emotional überfordert zu werden.

Der sichere Ort fördert die Fähigkeit, komplexe Emotionen zu verarbeiten, indem er einen Raum schafft, in dem schwierige Erfahrungen bearbeitet und reflektiert werden können. Diese traumapädagogische Herangehensweise hilft, Empathie, kritisches Denken und emotionale Resilienz zu fördern, sodass Klienten nicht nur die Geschichte erleben, sondern auch einen emotionalen Lernprozess durchlaufen.

Genau das ist unser Anspruch an der FreyMuT Academy – und der Weg dorthin erfordert Mut, Hingabe und tiefes Verständnis für die komplexen Prozesse, die in den Menschen wirken.

 

Der Mut, Geschichten zu erzählen, ist auch der Mut, zuzuhören

Zurück zum Start: Es ist völlig in Ordnung, wenn dein Kind dir phasenweise einsilbig antwortet. Kommunikation ist etwas, das man üben muss, und Geschichten erzählt man auch nicht jedem. Manchmal sind es eben auch die Fragen der Eltern, die das Gespräch ins Stocken bringen. Doch narrative Methoden können oft den Raum für tiefere Gespräche öffnen. 

Ganz wichtig dabei: Zum Reden gehört auch das Zuhören – Kommunikation ist keine Einbahnstraße! Geschichten, die erzählt werden, müssen auch gehört und angenommen werden. Nur so können sie ihre volle Wirkung entfalten und uns auf einer tieferen Ebene miteinander verbinden.

 

Und die Moral von der Geschicht`…

Am Ende geht es nicht darum, perfekte Geschichten zu erzählen. Es geht darum, Raum zu schaffen – für uns selbst und für unsere Kinder – damit die Erzählungen und die Emotionen, die sie transportieren, fließen können. 

Trauma verstehen, Menschen begleiten – wie aus MuTigen Kindern freye Erwachsene werden – darum geht es in der Traumapädagogik. Den nächsten Ausbildungsstart findest du hier. (https://freymut-academy.com/fortbildungsangebot/fortbildungen-und-seminare/traumapaedagogik/)